Jemen

In den Jemen soll ich reisen, in dieses Land von dem ich bis vor kurzem nur wusste, dass in regelmäßigen Abständen Ausländer entführt werden. Gut, ich wusste auch, dass es an den Golf von Aden grenzt, aber sonst war mir dieses Land gänzlich unbekannt. Nach einer Stunde Google erfahre ich, dass es dort auch die Malaria gibt, aber nicht nur die Malaria ist dort verbreitet, auch verschiedenste andere Krankheiten, wie zum Beispiel das Dengue Fieber, eine Erkrankung bei der es im schlimmsten Fall zu inneren Blutungen kommen kann. Die Form der Malaria ist dazu auch noch die schwerste von allen. Außerdem gibt es Minen in der Nähe von Straßen, manchmal Selbstmordattentate, gewisse Regionen werden von Stämmen regiert, Frauen werden mitunter schon mit neun verheiratet und noch einiges mehr lese ich, was mich nicht gerade beruhigt.
Ich beschäftige mich weiter mit den Krankheiten, bis ich mit Malaria, Lungenentzündung und Schweinegrippe in mein Bett taumle und mich für weitere zwei Stunden nicht mehr bewege. Danach setze ich mich wieder vor den Computer und wage mich erneut an dieses Land. Manchmal werden die Touristen an die Al Kaida verkauft, besonders im Norden an der Grenze zu Saudi Arabien soll es gefährlich sein. Mein Gemütszustand verschlechtert sich von Minute zu Minute. Vier deutschen Touristen wurde erst unlängst die Kehle durchgeschnitten, weitere 3 Personen werden noch vermisst. In der Regel werden die entführten Touristen aber gut behandelt, solange sie nicht in die Hände von Al Kaida fallen. Ich überlege mir was das kleinere Übel wäre, entführt zu werden oder an Malaria zu erkranken und mit 40 Grad Fieber im Bett zu siechen, wobei ich über die anderen Krankheiten, die womöglich noch viel schlimmer sind, noch gar nichts Genaues weiß. Missionierung wird mit dem Tod bestraft, lese ich. Gut, missionieren will ich niemanden. Dann sehe ich  die ersten Fotos, Hochplateaus, Berge, Lehmbauten, Wüstengegenden. Ich stelle mir vor, wie ich von meinen Entführern durch die Wüste getragen werde.  Das Land beginnt mich zu reizen und nachdem ich das Geld gut brauchen kann, beschließe ich den Vertrag anzunehmen. Ich schreibe der Dame, dass ich das Angebot annehme. Sie schreibt mir zurück, dass ich mir das nochmals überlegen und mir die Seite der deutschen Botschaft nochmals genau ansehen solle. Ich klicke auf den Link, den sie mitgeschickt hat. Reisewarnung Jemen. Vor Reisen in den Jemen wird ausdrücklich gewarnt. Überfälle von Piraten aus Somalia können auch in den Gewässern vor dem Jemen nicht ausgeschlossen werden, steht da noch dick gedruckt. Die Piraten hatte ich doch glatt vergessen. Aber nachdem ich nicht vor habe eine Kreuzfahrt zu machen, ignoriere ich diesen Punkt.

Ich brauche das Geld, schießt es mir wieder in den Kopf. 3000 Euro, Flug wird bezahlt, ein neues Land und die Chance von Islammisten gekidnappt zu werden. Toll denke ich mir. Ich lass mich nicht abbringen. Ich stelle mir vor, wie mein Entführungsvideo in allen österreichischen Haushalten zu sehen ist. Täglich fünf Minuten live aus dem Jemen. Ich denke an meine arme Mutter, dann an meine Exfreundin, wobei ich nicht wirklich weiß, warum ich an meine Exfreundin denke. Hat sie überhaupt einen Fernseher?  Ich komme, schreibe ich der Dame in Aden. Zwei Tage nichts, dann plötzlich wieder ein Mail. Sehr geehrter Herr Kleindienst, wir freuen uns schon sehr auf Ihr kommen.  Mir wird leicht schwindlig, ich sehe mich bereits im Roten Meer versinken und Piratenschiffe auf mich zukommen.  Ich sehe mir die Lage nochmals genau an, Somalia ist nicht weit entfernt, das heißt es gibt auch Kriegsschiffe, die mich im Falle des Falles aufnehmen könnten, wenn ich schon für ein deutsches Kulturinstitut arbeite, so muss mir auch das deutsche Militär Schutz gewährleisten, denke ich mir und falls ich entführt werde, kann ich ja sagen, dass ich Österreicher sei. Österreicher kommen im Orient meist besser weg, zumindest sagt man das immer.
Ich kann ja mal fix zusagen, denke ich mir und es mir im Notfall immer noch überlegen, es zwingt mich ja niemand in das Flugzeug zu steigen. Ich suche nach passenden Flugverbindungen. Kairo und dann nach Sanaa und weiter nach Aden. Nach der zweiten Zwischenlandung mit der Jemenitischen Airline über die Wüste. Die Wahrscheinlichkeit in Afrika oder im Orient in einen Flugzeugabsturz verwickelt zu werden, ist statistisch gesehen 8 mal so hoch wie in Westeuropa. Ein Flugzeugabsturz ist wahrscheinlich nicht zu überleben.  Innerhalb kurzer Zeit habe ich nun relative viele Möglichkeiten zu sterben. Wien ist ja wirklich eine sichere Stadt, hier kann man eventuell an der Schweinegrippe erkranken,  vielleicht auch an Krebs, eine Blinddarmentzündung kann man haben, überfallen kann man auch werden, aber meist nur, wenn man als Taxifahrer oder in einem Wettbüro arbeitet, Entführungen sind hier eher auszuschließen. Banküberfälle verlaufen meist auch nicht tödlich. Rimbaud  hat auch in Aden gewohnt, lese ich, Waffenhändler war er dort.

Zwei Tage später treffe ich in einer Bar einen Freund, er lehnt gelangweilt an der Wand und ich erzähle ihm, dass ich in den Jemen fahre. „In den Jemen“, erwidert er. „Tatsächlich. Rimbaud war auch da. Und ohne sein Bein ist er wieder zurückgekommen“, erklärt er mir. Ich schaue ihn an. „Ihm war es in Paris zu langweilig und da hat er sich gedacht er muss die Welt erobern. Wie ein Hund ist er durch die Wüste gekrochen mit Malaria und allem was man haben kann und zwei Jahre später war es vorbei mit ihm.“  Ich schaue ihn an und verlasse augenblicklich wieder das Lokal. Kaum stehe ich auf der Straße, über mir vereinzelt ein paar Sterne und im Hintergrund der Flakturm, denke ich mir, Wien ist doch eine schöne Stadt. „Rimbaud!“ hämmert es auf dem Heimweg immer wieder in meinem Kopf. Ich wage mich nun gar nicht mehr an den Computer, hoffentlich sagt sie mir ab, hoffentlich kommt kein Mail mehr. Erst am nächsten Tag traue ich mich wieder meine Mailbox zu öffnen. Und, oh Schreck, tatsächlich wieder ein Mail  und kurze Zeit danach auch schon der erste Anruf von einer mir gänzlich unbekannten Nummer. Ich höre eine weibliche Stimme, Jemen, Aden, höre ich immer wieder, dann wieder Rauschen. Ob ich nicht schon nächste Woche kommen kann. Auf keinen Fall, entgegne ich, hier habe ich noch zuviel zu erledigen. Die Verbindung bricht ab. Die meint es ernst. Ich soll jetzt wirklich in den Jemen reisen. Ich erzähle es einem befreundeten Paar. Er findet es cool und sie schaut mich an und meint, dass es sicher super warm dort sei, 30 Grad und kein Winter, ist doch toll. Ich frage sie, ob sie weiß, wo das ist und erzähl ihr von den Piraten und von der Malaria und der Al Kaida und von den geköpften Deutschen. Sie verzieht kurz den Kopf und meint dann, dass sie mich doch nicht besuchen kommen werde. Auf keinen Fall fahre sie dahin. Am nächsten Tag treffe ich meinen Verleger, auch ihm erzähle ich von meiner Reise.  Er verzieht kurz die Nase und meint, dass er es mir nicht wünsche, aber für mein Buch wäre es natürlich toll wenn ich entführt würde. Besseres Marketing gäbe es gar nicht. Die Kellnerin bringt mir eine Sachertorte und ihm noch einen Kaffe. Es wäre gut, wenn ich den Buchvertrag, noch bevor ich in den Jemen fahre, unterschreiben würde, höre ich dann. Ich schaue auf meine Sachertorte, aber irgendwie ist mir der Appetit vergangen.  Draußen fallen die ersten Schneeflocken vom Himmel, im Jemen hat es 30 Grad versuche ich mir einzureden.

 

Ich gehe auf Gate F, laufe einen Korridor entlang, fahre ein Stück mit dem Fließband, auf der Seite asiatisch aussehende Menschen, Destination Hongkong. Ich fahre weiter, Menschen huschen vorbei und plötzlich sehe ich nur mehr schwarz gekleidete Frauen, von Kopf bis Fuß verhüllt, Männer mit Sandalen und Holzstöcken und bärtige Männer, die in Tücher gehüllt sind. Ich werde von allen Seiten misstrauisch betrachtet, sehe nur mehr Augen, umrundet von schwarzem Stoff, die mich anstarren, Kinder huschen durch den Raum. Noch habe ich die Möglichkeit den Rückzug anzutreten, ein paar Tage Kairo sind sicher auch nett. Ich schaue mich hilflos um, schaue sehnsüchtig hinüber zu den Asiaten. Hongkong, das wär`s, aber nein, ich musste mich fürs tiefste Mittelalter entscheiden. Irgendwann fällt mir ein, dass mein Gepäck schon auf dem Weg ist und ich gar keine andere Möglichkeit mehr habe, als mich diesen Menschen hier anzuschließen und mich ebenfalls in die Schlange zu stellen, um auf den Sicherheitscheck zu warten. Ich bin mindestens einen Kopf größer als alle anderen hier. Ein alter Mann steht mit dicken, großen Brillen neben mir, er hält mit seinen zittrigen Händen einen Holzstock und sein Bart ist orange gefärbt, Henna wird mir später erzählt, das bringe Glück. Als der alte Mann vor mir den Sicherheitscheck durchquert piepst es und er wird durchsucht. Er lässt es mit Ruhe über sich ergehen, während der Sicherheitsmann nicht so recht weiß wonach er suchen soll. Es ist ihm sichtlich unangenehm den Mann abzutasten. Schließlich lässt er ihn passieren. Als nächster komme ich, mittlerweile hab ich schon Übung, lege meine Brieftasche in den Plastikbehälter und mein Handy dazu, nehme meinen Gürtel ab und durchquere den Röntgenapparat. Wenig später sitze ich auf einer Bank, zwischen all diesen fremden Leuten, ein Mann gegenüber lächelt mich an. Ich lächle verlegen zurück. Die Stimmung ist entspannt. Die verhüllten Frauen reden mit ihren Männern und die Männer mit ihren Frauen, und dazwischen Kinder und Greise, mit orangegefärbten Bärten. Beinahe fühlt man sich in dieser Fremdheit geborgen. Schließlich öffnet der Schalter, Visum und Pass werden noch mal kontrolliert. Ich werde durch gewunken und die Schlange bewegt sich Richtung Flugzeug. Ich setze mich neben einen dunkelhäutigen Mann, der sofort auf mich einzureden beginnt. In perfektem Englisch möchte er wissen, woher ich komme. Ich erkläre ihm, dass ich aus Österreich sei, worauf er mich überrascht anschaut und plötzlich mit einem Schweizer Dialekt meint, dass er mich eigentlich für einen Osteuropäer gehalten habe, für einen Polen oder einen Russen. Ich frage ihn erstaunt, wo er so gut Deutsch gelernt habe und er erwidert, in Zürich, da habe er vor einiger Zeit eine Freundin gehabt. Ich möchte nun wissen, woher er kommt, und er entgegnet mir mit einem Lachen, aus dem Bauch seiner Mutter. Schließlich erklärt er mir, dass er aus Libyen sei, aber länger in der Schweiz gewohnt habe. Er scherzt mit einem Mann hinter uns und mit einem zweiten neben ihm. Irgendwann kommt das Gespräch auf das letzte Fußballmatch zwischen Ägypten und Algerien, welches vor einigen Tagen mit einem Sieg von Algerien geendet hatte. Aufgeregt erzählt er irgendwas auf Arabisch, dass ich nicht verstehe und plötzlich beginnt er lachend zu schreien: „Viva Algeria, Viva Algeria“, und hört nicht mehr auf. Der ägyptische Steward kommt auf ihn zu und gibt ihm zu verstehen, dass er das lassen soll. Aber kaum ist er weg, beginnt er von Neuem unter dem Gelächter seines Sitznachbarn. „Viva Algeria“. Sogleich kommt der Steward erneut herangerannt und droht ihm nun mit dem Rauswurf. Die Maschine beginnt sich nun langsam zu bewegen und wenn sie nicht schon auf den Weg zur Landebahn gewesen wäre, wäre der Libyer tatsächlich noch aus dem Flugzeug verwiesen worden. So aber kommen bloß zwei kräftige Männer aus dem hinteren Teil der Maschine und fordern ihn mit eiserner Miene auf, sich mit ihnen in die letzte Reihe zu setzen und unverzüglich das Schreien einzustellen. Mit lautem Protest erhebt er sich, ruft mir noch zu, wie humorlos und engstirnig dieser seltsame Steward ist, und folgt unter dem Gelächter der anderen Passagiere den zwei Sicherheitsbeamten. Wenig später heben wir ab. Ich bin müde und schlummere vor mich hin, bis das Essen ausgegeben wird, entscheide mich für Hühnchen und bin vollauf zufrieden. Trinke eine Cola, lese noch ein wenig Zeitung und schlummere weiter. Irgendwann werde ich munter, höre durch den Lautsprecher die Stimme des Kapitäns und nachdem auch sogleich die Stewardessen mit einem Spray herangerückt kommen und diesen versprühen, rechne ich bereits mit dem Schlimmsten. Notlandung im Meer, das auch noch. Blitzartig werde ich munter, aber da die Durchsage offenbar niemanden sonderlich aufregt, beruhige ich mich wieder. Bald danach sind wir im Landeanflug.

Sanaa. Jemen. Ich springe von meinem Sitz auf und möchte nun endlich jemenitische Erde unter meinen Füßen spüren. Zu meiner Überraschung spüre ich nichts von dem tropischen Klima, das mir versprochen wurde. Aber auch kein Wunder bei einer Sehhöhe von 2000 Metern. Es ist kalt, wahrscheinlich nicht mehr als 10 Grad. Es ist weit nach Mitternacht und fröstelnd steige ich in den Bus, der uns ein paar hundert Meter weiter zur Eingangshalle fährt. Dort werden wir auch schon von einem Arzt mit weißer Schürze erwartet. In seiner Hand hält er ein Ding, das offenbar ein Fieberthermometer sein soll, und sogleich misst er jedem einzelnen die Temperatur, hält dieses seltsame Gerät an jede Stirn. Manche verschleierte Frau, lässt es nur widerwillig über sich ergehen, und manche zucken sogar zurück. Auch mir hält er dieses Ding an den Kopf und nachdem ich ein Papier ausgefüllt habe, wo ich erkläre, dass ich keine Symptome der Schweinegrippe habe, darf ich passieren. Kurz danach stehe ich vor dem Polizeischalter, mein Visum wird kontrolliert  und wenig später stehe ich in der Halle und warte auf mein Gepäck, das auch bald am Fließband daherkullert. Ich nehme meine Tasche und verlasse das Flughafengebäude. Eine ganze Meute von Taxifahren hat sich vor dem Gebäude versammelt, die alle zugleich auf mich einreden. Ich blicke mich hilfesuchend um und halte Ausschau nach Arafat, dem Chauffeur, der mich abholen sollte. Bald darauf kommt auch schon ein junger Mann mit schwarzem Sakko und weißem Hemd aus der Menge auf mich zu und fragt mich nach meinem Namen. Und nachdem er mir zu verstehen gibt, dass er Arafat, der Chauffeur sei, der mich ins Hotel bringen soll, folge ich ihm. Er lächelt kurz, ich gebe ihm meine Tasche, die er auf den Rücksitz verstaut. Wir verlassen das Flughafenareal, fahren an mehreren Polizisten vorbei. Schon nach ein paar hundert Metern sehe ich ein brennendes altes Fass, das mit Benzin gefüllt ist. Daneben vermummte Gestalten. Immer wieder sehe ich in der Folge diese Männer, die in dicke Mäntel gehüllt sind und Maschinengewehre in ihren Händen halten. Manchmal stehen sie alleine an der Straße, manchmal sind es ganze Gruppen, die sich an den Fässern wärmen. Es dürfte nicht mehr als drei, vier Grad haben. Wir fahren an Baracken und gespenstisch leuchtenden Straßenlaternen vorbei. Irgendwann werden wir von einem dieser vermummten Gestalten an einer Kreuzung angehalten. Ein bärtiger Mann starrt in das Auto und wechselt ein paar Worte mit meinem Fahrer, dann dürfen wir weiter fahren. Langsam näheren wir uns dem Zentrum, die Baracken verschwinden und plötzlich tauchen wie aus dem Nichts, die ersten dieser Lehmbauten, die mit Gips und Kalkfarbe verziert sind, auf. Arafat fragt mich, ob ich wisse wie das Hotel heißt, in das er mich bringen soll. Ich zucke nur mit den Achseln. Er hält an und telefoniert und ich blicke aus dem Fenster und bestaune ungläubig diese Häuser, komme mir vor, als wäre plötzlich eine Theaterkulisse um mich herum errichtet worden. Wenig später sind wir vor dem Hotel. Der Portier begrüßt mich freundlich und nimmt mir sogleich mein Gepäck aus der Hand. Nachdem ich ein Formular ausgefüllt habe, trägt er mir meinen Koffer auf das Zimmer.  Als ich schließlich mein Zimmer erblicke mit all den Ornamenten, den vielen kleinen Fenstern und den verschieden hellen Farben, mit denen der Raum gestaltet ist, bin ich sprachlos. Erschöpft lasse ich mich in mein Bett fallen. Trotz meiner Müdigkeit kann ich nicht einschlafen. Und als ich es beinahe doch schaffe, ertönen plötzlich die Muezzine. Erst eine Stimme dann eine zweite und plötzlich von irgendwoher noch eine dritte, manchmal klingt es wie Flamenco und dann wieder wie ein trippiger Techno.

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